Aufführung des Oratoriums „Joram“ in Halle (S.)

Ein Projekt dieser Art und Größenordnung hatte das Akademische Orchester der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bisher kaum jemals realisiert: Ein fast zweistündiges Oratorium („Joram“ von Paul Ben-Haim) im komplizierten Stil der frühen Moderne (komponiert 1933) in Zusammenarbeit mit nicht weniger als sechs verschiedenen Chören / Vokalensembles zur Erstaufführung in Halle (S.) zu bringen. Entsprechend groß waren die musikalischen, logistischen und planerischen Herausforderungen. Glücklicherweise wurde die Koordination und Organisation der beteiligten Sänger*innen größtenteils vom Synagogalchor Leipzig und dessen Leiter Ludwig Böhme übernommen.

Musikalische Umsetzung

Ausgangspunkt der Planung der nicht weniger als 24 Orchesterproben, die wir für die Erarbeitung des Werkes geplant und benötigt haben, waren folgende Überlegungen: Rund einen Monat vor der Aufführung waren die ersten Proben mit den beteiligten Solist*innen und dann, aufgrund der immensen logistischen Herausforderungen, erst eine Woche vorher mit den beteiligten Chören, die bis dahin separat probten. Das bedeutete, dass das Orchester das umfangreiche Werk in den Proben davor einstudieren musste, um beim Zusammenführen aller Musizierenden bereits sicher genug zu sein. Angesichts der Menge an musikalischem „Material“ haben wir die Proben so strukturiert, dass erst der erste Teil des Werkes in mehreren (in der Regel wöchentlich stattfindenden) Proben geprobt und gefestigt wurde, dann in den folgenden Proben der zweite Teil. Darauf folgte ein Probenwochenende, an dem nunmehr das ganze Werk wiederholt wurde. Diese Planung ging im Prinzip gut auf, allerdings war es zwischendurch mit ein paar „Durststrecken“ verbunden, so ein Werk in einem nicht immer leicht zugänglichen Stil über Wochen ohne die (oft tragenden) Vokalstimmen zu proben — und zwar fast ausschließlich dieses Werk, da wir kaum Kapazität hatten, parallel anderes Repertoire zu erarbeiten. Eine Idee für die Zukunft wäre hier vielleicht, hin und wieder eine*n Pianisten/in zur Probe hinzu zu holen, die / der die Vokalstimmen am Klavier dazu spielt, um schneller eine Vorstellung davon zu bekommen, wo die musikalische Reise hin geht. Umso beflügelnder war es dann aber für alle, als in den letzten Wochen die Sänger*innen Stück für Stück dazu kamen und das Werk Gestalt annahm. Die drei Proben-Wochenenden, die wir für das Projekt gemacht haben, brachten in der jeweiligen Probenphase immer einen großen Schub — es macht einfach einen großen Unterschied in der musikalischen Erarbeitung, wenn zwischen den Proben nicht eine Woche liegt, in der vieles wieder vergessen wird, sondern man länger am Stück in ein Werk eintauchen kann.

Logistische Umsetzung

Eine große Herausforderung war für uns der (für unsere Verhältnisse) große Schlagwerk-Apparat mit vier Pauken, Großer Trommel, Kleiner Trommel, Glockenspiel, Tamtam, Becken und weiteren kleinen Instrumenten. Wir verfügen zwar glücklicherweise über diese Instrumente bzw. konnten sie kostenlos ausleihen, allerdings musste alles für die gemeinsamen Proben mit den (hauptsächlich dort ansässigen) Sänger*innen nach Leipzig transportiert werden. Durch das große Engagement unserer Schlagzeuger*innen und anderer Orchestermitglieder ließ sich das aber realisieren und wir wissen jetzt für die Zukunft, dass in einen Standard-Transporter der größten Kategorie neben all diesem Schlagwerk auch noch fünf Kontrabässe passen. Bei der Logistik am Konzertort (Garderoben für alle Beteiligten, Bühnenaufbau) konnten wir zum großen Teil auf die Expertise und Hilfe der Mitarbeiter*innen der Konzerthalle zurückgreifen, was ein großer Vorteil war. Unerlässlich waren genaue Absprachen über den Ablauf am Konzerttag mit allen Beteiligten (Orchesteraufbau, Aufbau Tontechnik, Anspielprobe, Einführungsveranstaltung, Reihenfolge der Auftritte …). In der Woche vor der Aufführung traf uns dann noch die Herausforderung, dass drei Orchestermusiker*innen leider nach all den Proben aufgrund einer Corona-Erkrankung kurzfristig nicht mitspielen konnten, was bei einem unbekannten und anspruchsvollen Werk mit handschriftlichem, z. T. schwer lesbaren Orchestermaterial besonders problematisch ist. Zum Glück ließen sich hier noch unterschiedliche Lösungen finden: Auf einen Geiger haben wir einfach verzichtet, da die Gruppe stark genug besetzt war, eine Klarinetten-Stimme konnte zu großen Teilen unter Einsatz von Schere und Notenpapier in die anderen Stimmen eingefügt werden und für ein Horn konnte eine Aushilfe mit der nötigen Erfahrung gefunden werden.

Öffentlichkeitsarbeit

Die Konzerte unseres studentischen Sinfonieorchesters werden üblicherweise vor allem von Studierenden und Mitarbeiter*innen der Universität besucht sowie von „klassischen“ Konzertgänger*innen, die etwa auch die Konzerte der Staatskapelle Halle besuchen. Das Orchester hatte vor Corona ein ganz gutes Stammpublikum aus den beiden Gruppen, allerdings waren in diesem Format hauptsächlich sinfonische und eher unterhaltsame Programme gespielt worden — keine Oratorien, und modernere Musik und Unbekanntes auch nur als Teil eines Programms, nicht wie in diesem Fall abendfüllend. Zur Herausforderung, unser Publikum nach der Corona-Pause „zurück zu erobern“ kam also die, es für ein unbekanntes, eher modernes Werk zu gewinnen.
Gezielt Kinder und Jugendliche für unsere Konzerte zu interessieren (grundsätzlich auf jeden Fall ein Anliegen von uns) schien uns bei diesem Projekt angesichts der Komplexität des Werkes nicht vielversprechend. Deshalb versuchten wir, den besonderen Charakter des Abends gut herauszustellen: Wir haben die Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff für die Aufführung angefragt und bekommen, daraufhin war auch die Presse interessiert, Vorberichte zu bringen. Die Studierenden und Mitarbeiter*innen der Universität haben wir versucht durch Flyer und Plakate über das Uni-Netzwerk, Mund-zu-Mund-Propaganda und Social media zu erreichen. Die traditionellen Konzertgänger*innen versuchten wir für die Veranstaltung zu interessieren, indem wir gezielt Flyer bei Konzerten des Staatskapelle zwei Wochen vor unserer Veranstaltung verteilt haben, und außerdem an den Litfaßsäulen plakatiert haben. Da die Konzerte des Orchesters vor Corona auch hier plakatiert wurden, hofften wir, auf diese Weise möglichst viele Besucher*innen wieder oder neu zu gewinnen.

Schlussendlich war die Aufführung mit 465 Zuschauer*innen für eine Veranstaltung dieser Art ordentlich besucht, lag allerdings ein gutes Stück unter den Zahlen der bestbesuchten Konzerte des Orchesters vor der Corona-Unterbrechung. Ähnliches hörten und hören wir aber auch von vielen anderen Veranstaltungen in der Stadt. Wahrscheinlich bleiben aufgrund der immer noch nicht entspannten Corona-Lage nur vage Interessierte im Moment immer noch viel öfter zu Hause, als sie es vor Corona getan hätten, und sind einige ältere Konzertbesucher*innen immer noch besonders vorsichtig.

Fazit

Die, die gekommen waren, spendeten uns langanhaltenden, enthusiastischen Beifall und es gab viele sehr positive Reaktionen auf die Aufführung und das Projekt. Offenbar konnten wir nicht wenige für dieses unbekannte Werk begeistern und ein Stück jüdische Kultur wieder aufleben lassen. Nicht zuletzt brachten sehr viele Mitwirkende zum Ausdruck, dass der Abend und das Projekt insgesamt eine sehr besondere Erfahrung für sie waren. Unser Orchester ist an dieser Aufgabe sicherlich ein Stück gewachsen und freut sich nun umso mehr auf neue Projekte in einer hoffentlich von Corona weniger und weniger belasteten Zeit.

Daniel Spogis